Supermarathon beim Rennsteiglauf 2014 – Wer hatte eigentlich diese bescheuerte Idee?

Im Nachhinein frage ich mich schon, wer diese bescheuerte Idee hatte, bei einem Crosslauf über 72,7km zu starten?

Gleich zur Abschreckung mein Nachher-Selfie…

Foto 1

Eigentlich sehe ich für fast 9h quälen und leiden ja noch ganz passabel aus.

Angemeldet habe ich mich für diesen „Spaß“ bereits Ende Dezember. Ich hatte gedacht, dass es schon passen würde mit dem Training. Aber irgendwie bin ich in das Lauftraining nie richtig reingekommen. Beim Schwimmen hatte ich im Winter viel Spaß und ich bin auch relativ viel auf dem Rennrad unterwegs gewesen. Aber die verdammten Laufkilometer habe ich dieses Jahr durch den Prüfungsstress, Trainerjob und verschiedene Verletzungen und Krankheiten einfach nicht zusammenbekommen. Außerdem hat die letzten 2 Wochen mein Knie ab und zu mal gezwickt, nix Besonderes, aber halt komisch und ungewohnt. Dessen war ich mir natürlich vorher bewusst und daher wusste ich schon, dass es sehr schwer werden würde.

Der Pre-Raceday

Am Freitag habe ich mich mit einem befreundeten Läufer (St. Pauli Triathlon) aus Hamburg auf den weiten Weg nach Eisenach gemacht.

In Eisenach sind wir direkt zur Anmeldung und nach 5min war schon alles erledigt. Dort traf ich dann auch Britta und Frank Giesen, erfolgreiche Ultraläufer die auch mal bei der HSG waren, die man öfter bei solchen langen und speziellen Laufveranstaltungen trifft. Anschliessend noch ein kurzer Rundgang durch Eisenach und dann habe ich mich erstmal zu meiner Gemeinschaftsunterkunft auf den Weg gemacht. In der Turnhalle eines örtlichen Gymnasiums habe ich dann mein Nachtlager vorbereitet, es war zu dem Zeitpunkt noch nicht viel los.

Danach ging ich dann nochmal in die Stadt zur traditionellen Kloßparty. Aber mir war das nix, zu viele alte Leute und Volksmusik. Die Klöße mit Gulasch und Rotkraut waren aber lecker.

Foto 5

Danach ging es zu Fuß wieder zurück zur Turnhalle. Inzwischen war hier sehr viel mehr los. In der gesamten Schule waren geschätzt 150 Leute untergebracht. Vor der Schule standen noch einige Wohnmobile und Zelte. Der Verein hatte auch ein kleinen Kiosk mit Broten, Getränken und Bier eingerichtet.

Mir war das aber egal, diesen ganzen Trubel wollte ich mir nicht geben und bin dann Richtung Schlafsack und habe noch ein wenig gechillt. Aber noch bevor es dunkel wurde, war um exakt 20:21  das erste Schnarchen zu hören. Die Nacht war nicht wirklich ruhig, aber irgendwann bin ich eingeschlafen.


Der Renntag (oder das Grauen dauert fast 9h)

Ab 3 Uhr wurde es dann wieder unruhiger, weil einige Sportkameraden wieder wachwurden und in den Tag starteten. Um ca. halb 4 bin ich dann auch langsam aufgestanden und habe mich zum Frühstücks-Keller aufgemacht. Man konnte am Vortag zwischen einem großen und kleinen Frühstück wählen. Ich entschied mich für das große Frühstück:

Foto 4

Nix Besonderes, aber man ist ja anspruchslos. Nach dem Frühstück wieder zurück in die Halle, Klamotten zusammengepackt, den Rennrucksack vorbereitet und auf den Bus gewartet.

Um kurz vor 5 bin ich dann in den Bus gestiegen, der die Läufer von der Schule zum Start gefahren hat.

Foto 3

Da hab ich dann wieder meinen Lauffreund aus Hamburg getroffen, noch ein bissl geschnackt, ein bischen heissen Tee getrunken und gewartet. Um halb 6 hab ich dann meine Klamotten abgegeben und habe mich auf den Start vorbereitet.

Vor dem Start zum Supermarathon wurden noch 3 ältere Herren geehrt, die ihren 40. Supermarathon absolviert haben. Bei bisher 42. Auflagen eine echt krasse Leistung.

Foto 2

Ich war noch relativ guter Dinge und wollte nur noch loslaufen. Ich hatte mich relativ weit vorne eingereiht, weil die ersten Meter durch die Innenstadt relativ eng waren und ich es vermeiden wollte, in einen Stau zu kommen. Aber in der Endabrechung wäre das auch egal gewesen.

Schon kurz nach dem Start hing an einem Haus ein Plakat: „Von hier aus nur noch 72km!“ – ja nee, is klar!

Direkt beim Loslaufen über den Asphalt merkte ich meine leichten Knieschmerzen der letzten Wochen, aber als es denn auf den Waldboden weiterging, waren die Schmerzen weg – wunderbar! Aber wahrscheinlich wurden die Schmerzen vom Kopf einfach ignoriert, oder durch Schmerzen in anderen Körperteilen überlagert.

Die ersten 6km bis zur ersten Verpflegungsstelle ging es nur bergauf. Die Verpflegungs- und Wasserstellen waren immer super organisiert. Nach dem ständigen Auf und Ab lauerte bei km24 der erste „Höhepunkt“ – der große Inselsberg. Am Anstieg ging es so steil bergauf, dass alle um mich herum gehen mussten. Angeblich laufen die besten Leute diese Steigung hoch, das hielt ich aber erstmal für unmöglich, das war einfach irre steil!

Auf dem großen Inselsberg war es sehr neblig und kalt. Aber der „Abstieg“ war einfach noch viel steiler als der Weg hoch! Ich habe noch nie (wirklich nie) so ein steiles Stück Straße gesehen, dass war genauso unmöglich laufend zu bewältigen. Auf knapp 1km ging es 170m bergab! Vor allem in den Abstiegen wurde ich immer reichlich und locker überholt, aber sowas kann man in Norddeutschland auch einfach unmöglich trainieren.

Alle haben vorher gesagt, dass der Lauf erst nach dem Inselsberg richtig losgeht, na toll! An der Zeitmessung habe ich auch mitbekommen, dass ich irgendwo in den Top 200 war.

Mit dem Abstieg vom großen Inselsberg war nach knapp 2h40min auch das erste Renndrittel geschafft. Das Problem war nur, das ich schon deutlich die Erschöpfung im Körper spürte. Und ich wusste schon, dass die restlichen knapp 50km extrem hart werden. Nach einer längeren Verpflegungspause ging es später in ein echt schweres Cross-Stück direkt durch einen kleinen Wald. Die vielen offenen Wurzeln und Steine machten es echt schwer und ich wäre fast einmal gestürzt, konnte mich aber noch geradeso retten. Normalerweise liebe ich solche Abschnitte, aber ich war einfach schon zu erschöpft, um es zu geniessen.

Kurze Zeit später folgte der Kilometer 30! Kommt ja nur noch ein ganzer Marathon! Diese Zahlenspiele machen einen echt fertig, im Prinzip dürfte man sowas gar nicht machen. Irgendwie geht es aber doch immer weiter. Nach und nach haben ich mich aber schon von meinen ambitionierten Zeitzielen verabschiedet.

Es wurde von Kilometer zu Kilometer immer schwieriger, selbst in den flachen Abschnitten konnte ich nicht mehr richtig laufen. Und Langsamlaufen ist verdammt anstrengend! So schleppte ich mich bereits bei km30 nur noch immer weiter.

Bei km 37,5 gab es die „offizielle Halbzeit“ der Strecke. Warte mal: 37,5 x2=75! Hab ich irgendwas falsch verstanden? Aber diese Rechnung habe ich heute immer noch nicht verstanden. An dieser Verpflegungsstelle wurden alle Läufer mit Namen begrüsst und empfangen. Ich hab mir etwas Heidelbeersuppe, 3 Becher zu trinken und ein Nutella-Brot geschnappt, bin wieder direkt los und habe in der anschliessenden Steigung alles verzehrt. Glücklicherweise waren nach jeder Verpflegungsstelle auch direkt wieder lange Anstiege, da musste ich ja eh gehen, so dass ich in Ruhe futtern konnte.

Nach zahlreichen Anstiegen und viel Wald war ich dann irgendwo bei km 43. Ich hatte mir vorher fest vorgenommen, dort ein Foto fürs Album zu machen – nach dem Motto: jetzt kommt das Unbekannte! Aber ehrlich gesagt, hatte ich absolut keinen Bock mehr!

Ich hatte mich mental vorher viel mit dem Km 55 beschäftigt, weil ich wusste, dass es dort eine Stelle für den vorzeitigen Abbruch gibt. Man hätte sich also schön ins Zelt setzen können und wäre mit der 55km-Zeit sogar in der Ergebnisliste aufgetaucht. Aber ich habe mir die Stunden vorher geschworen dort nicht auszusteigen! Danach sind es ja auch nur noch 17km! Da will man dann auch nicht mehr aufhören. An der Stelle konnte man auch einen Blick auf das Biathlonstadion in Oberhof werfen. Zwischendurch passierte man auch die asphaltierte Trainingsstrecke der Biathleten, wo just in dem Moment ein Biathlet auf seinen Skikes vorbeikam. Aber ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um dem Biathleten mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Direkt danach geht es in den Anstieg zum „Großen Beerberg“. Schön durch ein Schild bei km62 markiert: Der höchste Punkt der Strecke mit 9xx Metern. Die genaue Zahl hab ich nicht mehr im Kopf.

Danach waren es weniger als 10km! Schön, nicht mehr zweistellig. Das war für den Kopf eine wichtige Grenze. Aber was schon den halben Tag galt: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Vor allem in der zweiten Rennhälfte war es ein sehr langer Wandertag mit kurzen Laufabschnitten.

Aber irgendwie hab ich es dann durch einen sehr langen Abstieg nach Schmiedefeld in Richtung Ziel geschafft. Aber ich war einfach zu fertig, um den Zieleinlauf zu geniessen.  So richtig fühlen konnte ich die Erleichterung im Ziel auch nicht. Auch die üblichen Glücksgefühle beim Zieleinlauf gab es nicht, dafür hatte ich einfach zu sehr gelitten. Ich habe an diesem Tag einfach mal wieder meine Grenzen aufgezeigt bekommen. Dieses Rennen kann ich absolut als negative Erfahrung abhaken.

Foto 1

Landschaftlich kann der Supermarathon nicht viel bieten, es wird größtenteils durch Wälder gelaufen. Bis auf 2-3 Ausnahmen gab es keine Möglichkeiten die Berglandschaft zu geniessen. Aber von der Organisation her war es Top, man sieht die viele Erfahrung und das Herzblut in dieser Veranstaltung – es hat organisatorisch alles geklappt.

Im Endeffekt bin ich 1124. geworden, das ergibt einen 50. Platz in der Altersklasse. Dieses Ergebnis ist mir aber so was von wurscht – Hauptsache im Ziel. Ich wurde nach dem „Großen Inselsberg“ also von knapp 1.000 Athleten und habe vielleicht 50 selber noch überholt. Das ist für den Kopf natürlich ziemlich schwer. Außerdem waren da Typen bei, die so was von unathletisch aussahen, aber egal, sie waren nun mal schneller. Die von Stefan W. angekündigten 70-Jährigen haben mich natürlich auch überholt, alte Greise, die aber verdammt schnell unterwegs waren.

Im Nachhinein betrachtet, musste ich die gesamte Strecke nicht einmal pinkeln und das bei fast 9h Renndauer – das könnte man als Anzeichen einer Dehydrierung ansehen, obwohl ich regelmäßig und viel getrunken habe.

Der Gesamtsieger bei den Herren pulverisierte den alten Streckenrekord und brauchte nur 4h50min! Der Zweitplatzierte bei den Herren kam 50min(!!!) hinter Christian ins Ziel! Die erste Frau brauchte 6h16min.

Britta hat es am Ende mit 6h48minauf den 7. (!!!) Platz gesamt geschafft. Frank war knapp dahinter 7h01min und Gesamtplatz 152.

Nach dem Lauf war ich einfach total fertig mit der Welt. Ich hab mich erstmal total erschöpft auf die Wiese gelegt und wollte eigentlich nur noch weg. In meinem Delirium auf der Wiese traf ich zufällig ein paar Läufer aus Bremen. Da ich noch keinen Plan hatte, wie ich am Folgetag wieder nach Hamburg kommen sollte, hab ich mich spontan gleich mal bei denen ins Auto eingeladen. Das hat aber super geklappt und nach einer langen Autofahrt nach Bremen, einer aufreibenden Zugfahrt nach Hamburg (mit Unterbrechung wegen Leuten im Gleisbereich) war ich dann um 3Uhr nachts endlich im Bett.

Den Supermarathon werde ich mir auf jeden Fall nicht mehr antun. Sollte ich andere Gedanken äußern, erinnert mich bitte an diesen Beitrag.

Was Ultraläufe anbelangt, bin ich jetzt ein „gebranntes Kind“. Die richtigen Ultraläufer bezeichnen den Supermarathon beim Rennsteiglauf übrigens nicht als Ultralauf, in der Szene wird es erst ab 100km Rennlänge und deutlich mehr Höhenmeter interessant – alles kaputte Leute.

P.S. Danke an Hans, meinen Lieblings-Orthopädietechniker, der mir noch kurzfristig eine Bandage besorgt hat, um mein Knie vor dem Lauf entsprechend zu entlasten und erholen. Danke nochmal dafür.

10 thoughts on “Supermarathon beim Rennsteiglauf 2014 – Wer hatte eigentlich diese bescheuerte Idee?

  1. Nicht jammern der schmerz vergeht. Ich hab den auch gemacht sah ähnlich aus wie du aber der Triumph den rennsteig besiegt zu haben überwiegt . Glückwunsch

  2. Hi Phil, herzlichen Glückwunsch zum Finish. Beim zweiten Mal wirds besser – ist ein Erfahrungswert. Muss ja nicht gleich nächstes Jahr sein …

  3. Hallo Philip,
    sei stolz auf Dich, meine Hochachtung!
    Vielleicht kommen die Glücksgefühle im Ziel mein nächsten mal …

    Dietmar

  4. Hallo Philip,

    auch wenns hart ist – den Rennsteiglauf über 72,7 km toppt (fast) nichts.
    Durchhalten ist eh das Wichtigste. Bei mir hats diesmal 7:39:12 gedauert….
    Nächstes Jahr ist wieder Rennsteiglauf.

    Glückwunsch zum Finish!

  5. Hi Coach,
    Super Leistung u schöner Bericht, aber gesund kann das nicht sein;)
    Jute Erholungphase wünsch ich dir

  6. Ja, das sind Leiden diese langen Ultras und dann noch mit einigen Höhenmetern…aber das ist eine tolle Leistung so durchzuhalten…Respekt und liebe Grüße aus dem Allgäu
    PS: Die Erfahrung nimmt Dir keiner 🙂

  7. He Phil – echt super Bericht ! Schön das Dein Knie gehalten hat …. Ich denk mal über die Tour nach …9h schnell gehen sollten mir auch liegen …..

  8. Super Leistung und meinen Glückwunsch dafür! So’n bissel verrückt muss man schon sein, um dies zu tun 🙂 Schöner Bericht!
    Gruß Toralf

Schreibe einen Kommentar